Idyllisch über dem Kochertal liegt Forchtenberg, Geburtsort von Sophie Scholl. Hier führt der Hans und Sophie Scholl-Pfad an einstige Lieblingsplätze der Widerstandskämpferin, deren Geburtstag sich am 9. Mai zum 100. Mal jährt.
Wiesen, Wälder und Weinberge, dazwischen schmucke Städtchen und Dörfer, eingebettet in die einzigartige Kulturlandschaft der Hohenlohe. Nach Forchtenberg fährt man entlang des Kochers - mit einer Länge von 168 Kilometern der zweitgrößte Nebenfluss des Neckars. Nachdem er am Fuß der Schwäbischen Alb aus mehreren Karstquellen entsprungen ist, fließt er hier gemächlich durch den Nordosten Baden-Württembergs. Begleitet wird er auf langen Strecken von der Jagst und vom gleichnamigen Kocher-Jagst-Radweg www.kocher-jagst.de, der sich in sechs Etappen auf über 330 Kilometern erstreckt. Auch jetzt in der Pandemie fällt hier das Abstandhalten meist nicht schwer.
Geburtshaus gleich Rathaus
Vom Kocherufer, wo sich mehrere Parkplätze befinden, sind es nur wenige Schritte bis in die Altstadt und zum Rathaus, wo Sophie Scholl am 9. Mai 1921 im elterlichen Schlafzimmer zur Welt kam. Wer vor den bodentiefen Fenstern steht, blickt auf die Büste der jungen Frau mit den kurzen Haaren, die im Dritten Reich zum Kern der Widerstandsgruppe "Die Weiße Rose" gehörte. Ihre Mitglieder lehnten sich (1942 bis 1943) in sechs Flugblättern gegen den Nationalsozialismus auf. Gleich daneben steht auf einer Tafel geschrieben: Hans und Sophie Scholl verbrachten bis 1930 in diesem Hause ihre Kindheit. Sie folgten ihrem Gewissen und starben 1943 als Studenten in München im Widerstand gegen Unrecht und Gewalt. Vor der Gedenkinschrift steht eine Vase mit weißen Rosen: Symbol gegen rechte Gesinnung und Fremdenhass. Hier lebte Sophie zehn Jahre lang - mit ihren Geschwistern Inge, Hans, Elisabeth, Werner und Thilde, die bereits als Kleinkind starb. Denn ihr Vater Robert war Bürgermeister der Gemeinde.
Weiße Rosen kennzeichnen ihre Lebensspuren
Das Rathaus in der pittoresken Altstadt ist ein guter Ausgangspunkt, um mit der Spurensuche zu beginnen. „2006 zu Sophies 85. Geburtstag entstand der Hans und Sophie Scholl-Pfad“, erinnert sich Renate Deck, die Initiatorin des Erinnerungswegs - weiße Rosen kennzeichnen entlang der Strecke ihre Lebensspuren. Eine steile, schmale Treppe - die Kirchenstiege – führt zur Evangelischen Michaelskirche hinauf. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie Sophie als kleinen Mädchen hier hinaufgelaufen ist. „Hier war im Winter ein beliebter Schlittenhang für die Kinder“, weiß Renate Deck, die sich seit 30 Jahren mit den Scholls beschäftigt und bei Führungen viel Interessantes zu berichten weiß. Der Wegweiser mit der stilisierten weißen Blüte führt vorbei an der Kirche mit dem Zwiebelturm, in der Sophie am 10. Juli 921 auf den Namen Lina Sofie getauft wurde, und der auch so im Taufregister eingetragen wurde. Später änderte sie vermutlich ihren Namen in Sophia Magdalena. Vom Weg blickt man in den Pfarrgarten, in dem die Scholl Kinder gerne spielten. Die oberhalb gelegene Schlossruine war zum Spielen tabu, denn es drohte Einsturzgefahr. Der gewaltige Gewölbekeller ist inzwischen restauriert und über 40 Meter lang.
Ausblick übers Kochertal
Der Blick schweift von hier über Forchtenberg und die umgebenden Weinberge. Der Obst- und der Weinanbau gehören seit Jahrhunderten zur Hohenlohe: Mal atemberaubend steil wie hier im Kochertal, dann wieder sanft geschwungen wie in der Hohenloher Ebene, prägt der Weinanbau die Landschaft. Wieder hinunter geht es jetzt zum alten Schulhaus und zur „Kleinkindschule“. In der Schule wurden früher zwei Klassenstufen gemeinsam unterrichtet. Daher waren Sophie und Elisabeth auch in der Schule zusammen, wo Sophie bei Ungerechtigkeiten bereits für die ein Jahr ältere Schwester eintrat.
100 Haikus zum Geburtstag
Sophie sei keine Heilige gewesen, erzählt Renate Deck. „Für mich und den Suchenden ist sie ein Mensch, auch selbst mit sich ringend, nachdenklich, jung. Zwar sei sie der Hitlerjugend (Bund Deutscher Mädels) beigetreten, aber innere Prozesse, Begegnungen, Gespräche, Freunde und das bewusste Hinschauen – und nicht zuletzt ihr Halt in ihrem christlichen Erwachen – haben ihr die Kraft zum Widerstehen gegeben. Diesen drückt die Begründerin der „Weiße Rose"-Denkstätte Forchtenberg anlässlich des besonderen Jubiläums in 100 Haikus aus, eine traditionelle japanische Gedichtform und die kürzeste überhaupt. „Begonnen habe ich mit dem Schreiben der Lyrik-Wort-Dichtungen am 30. Januar dieses Jahres, der Tag der Machtübernahme Hitlers 1933“, sagt Deck. An Sophies Geburtstag werden die 100 Haikus rund um die Michaelskirche an Interessierte verteilt. Darunter auch das 96. Haiku:
„Weiße Rosen blühn
Zwischen Herz und Gedanken
Hundert Hoffnungen.“
Von der Altstadt ans Ufer des Kochers
Eine weitere Station auf dem Gedächtnispfad ist das Würzburger Tor, das sich mit seiner gelben Fassade aus der Reihe der Fachwerkhäuser hervortut. Nur ein paar Schritte sind es von hier an den Kocher, der gurgelnd unter der Brücke am Teehaus durchfließt. Der kleine Barockpavillon entstand im 18. Jahrhundert. In der Nähe des Wehrs war früher der Schwimmplatz der Scholl Kinder. „Mit sechs Jahren lernte Sophie hier schwimmen“, erzählt Deck. „Ganz in der Nähe gab es auch ein Badehaus. Dort ist Hans einmal ins Eis eingebrochen.“ Das Eingreifen eines beherzten Forchtenbergers habe ihm das Leben gerettet.
Mit 21 Jahren zum Tode verurteilt
Durchs Würzburger Tor geht es auch wieder zurück zum Rathaus, wo Renate Deck auf die Jubiläumsveranstaltungen zu sprechen kommt: „Die Installation im Rathaus-Foyer erinnert an das Abendmahl, das Hans und Sophie Scholl kurz vor ihrer Hinrichtung am 22. Februar in ihren Zellen im Gefängnis Stadelheim in München empfangen haben“. Es sei ein Zeichen der Verbundenheit mit Jesus und mit dem christlichen Glauben gewesen. Als erste ging Sophie Scholl zum Fallbeil. Der Scharfrichter Johann Reichhart soll später geäußert haben, dass er noch nie jemand so tapfer habe sterben sehen.
Mehr Info
Den Flyer zum Hans und Sophie Scholl-Pfad gibt es unter: www.forchtenberg.de/freizeit-tourismus/wander-radwege/themenpfade
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Yvonne Lippss (Samstag, 08 Mai 2021 07:49)
Sehr schöner und bewegender Text!